Für eine Union der Gleichheit
Ziel der EU-Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter sind messbare Fortschritte auf dem Weg zu einem geschlechtergerechten Europa bis 2025. Sie formuliert politische Ziele und Maßnahmen zur praktischen Umsetzung der diesbezüglichen Verpflichtung der Kommission von der Leyen.
Alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität und geschlechtlichen Ausdrucksformen, Geschlechtsmerkmalen und sexueller Identität, ethnischer Herkunft, Alter, Religion oder Weltanschauung und Behinderung, müssen ihr Leben frei gestalten können, die gleichen Chancen haben, gleichberechtigt an unserer Gesellschaft teilhaben, sich entfalten und Führungsaufgaben übernehmen können.
Die im Dezember 2020 angenommenen Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Gleichstellung der Geschlechter im Kulturbereich zeigen, dass der Kultursektor Gleichstellung durchaus voranbringen kann und die anhaltenden Ungleichheiten anerkennt.
Sie befassen sich vor allem mit Hindernissen in Bezug auf
- gleichen Zugang zur Kultur- und Kreativwirtschaft,
- gleiche Bezahlung und Vertretung in kreativen Positionen und Entscheidungspositionen,
- gleiche Wertschätzung und Anerkennung von Arbeit.
Es wird betont, dass Geschlechterstereotype und sexuelle Belästigung sowie sexueller Missbrauch weiterhin zu den Hauptproblemen des Kultur- und Kreativsektors gehören.
Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes fordern die EU-Mitgliedstaaten u. a. dazu auf,
- eine gleiche Bezahlung zu gewährleisten,
- eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu fördern,
- für die Gleichstellung der Geschlechter in den Organen und Entscheidungsinstanzen des Sektors einzustehen,
- die Forschung zum Thema Gleichstellung der Geschlechter sowie die Erhebung von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Daten zu fördern.
Die EU-Kommission sollte transnationale Initiativen zur Gleichstellung der Geschlechter im Kulturbereich unterstützen und die Erhebung und Verbreitung kulturspezifischer Daten über Gleichstellung und kulturelle Vielfalt in Europa fördern.
Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Kultur- und Kreativsektor
Beinahe im gesamten Kultur- und Kreativsektor bestehen nach wie vor intersektionale geschlechtsspezifische Unterschiede, wobei Einzelpersonen aufgrund ihres Geschlechts, anderer persönlicher Merkmale und Identitäten diskriminiert werden.
Die verfügbaren Daten zeigen, dass Künstlerinnen und weibliche Kulturschaffende in der EU in der Regel weniger Zugang zu Schaffungs- und Produktionsressourcen haben, viel schlechter bezahlt werden als Männer und in Führungspositionen und anderen Entscheidungspositionen sowie auf dem Kunstmarkt unterrepräsentiert sind. Frauen sind häufig Zielscheibe von Sexismus, Geschlechterstereotypen und sexueller Belästigung.
In Frankreich etwa machen Frauen 52 % aller Studierenden der darstellenden Künste aus. Auf sie entfallen jedoch nur 31 % der praktizierenden Kunstschaffenden, 11 % der programmierten Kunstschaffenden und nur 18 % der Führungspositionen in diesen Branchen. Lediglich 4-12 % der Kunstpreise wurden seit 1980 an Frauen vergeben.
Darüber hinaus werden nur 23 % der öffentlich geförderten Projekte in Frankreich von Frauen geleitet. Künstlerinnen verdienen bei gleicher Qualifikation bzw. Tätigkeit im Durchschnitt 27 % weniger als ihre männlichen Kollegen (Quelle: „Inégalités entre les femmes et les hommes dans les arts et la culture (Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in der Kunst und Kultur)“, Haut Conseil à l‘Égalité, 2018).
Musik: In Europa sind unter den eingetragenen Komponisten und Textdichtern weniger als 20 % Frauen. Weibliche Musikschaffende verdienen im Durchschnitt 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen (Quelle: „Frauen in der Musikbranche“, 2019).
Theater: In Irland sind Frauen in allen untersuchten Theaterbereichen unterrepräsentiert, mit Ausnahme des Bereichs Kostümdesign. Nur 28 % der Drehbuchautoren, 9 % der Tontechniker und 37 % der Regisseure sind Frauen (Quelle: Studie im Auftrag von #WakingtheFeminists, 2017).
Zirkus: In Spanien ist die Beschäftigung von Frauen in wirtschaftlich stärkeren Unternehmen deutlich zurückgegangen. 80 % der Bühnenkünstler sind Männer — und nur 20 % Frauen. Zirkusdirektoren sind fast ausschließlich Männer (Quelle: Studie der Associació de Professionals de Circ de Catalunya (APCC), 2019).
Bildende Kunst: Kunstwerke von Künstlerinnen machten im Jahr 2017 nur 3-5 % der großen ständigen Sammlungen in Europa und den Vereinigten Staaten (USA) aus. Zugleich sind lediglich 13,7 % der von Galerien in Europa und Nordamerika vertretenen lebenden Künstler Frauen (Quelle: National Museum of Women in the Arts (USA), 2019)
Es mangelt an Daten zu geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, denen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender-Personen und queere Personen (LGBTIQ-Personen) in der EU ausgesetzt sind.
Bekämpfung geschlechtsspezifischer Unterschiede
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede sollten im Kultur- und Kreativsektor durch gezielte politische Maßnahmen anerkannt und beseitigt werden. Im Arbeitsplan für Kultur 2019-2022 wird anerkannt, dass die Gleichstellung der Geschlechter eine tragende Säule der kulturellen Vielfalt ist und eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Stereotypen und der Förderung von gesellschaftlichem Wandel spielt.
Der Arbeitsplan empfiehlt zwei Maßnahmen zur Beseitigung geschlechtsspezifischer Unterschiede im Kultur- und Kreativsektor.
- Bestandsaufnahme zur Bewertung der Lage der Künstlerinnen und weiblichen Kulturschaffenden
- Einberufung einer Fachgruppe, die nach der offenen Methode der Koordinierung (OMK) arbeitet — zum Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren und zur Formulierung von Empfehlungen
Die Kommission hat eine EU-weite Studie über geschlechtsspezifische Unterschiede im Kultur- und Kreativsektor finanziert. Sie umfasst eine Analyse der spezifischen Herausforderungen für Frauen und enthält entsprechende Empfehlungen zur Unterstützung der politischen Entscheidungsfindung.
Bericht über die Gleichstellung der Geschlechter
Darüber hinaus arbeitete die OMK-Fachgruppe zur Gleichstellung der Geschlechter zwischen Herbst 2019 und Frühling 2021 an einer Reihe politischer Empfehlungen und Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen im Rahmen des neuen Programms Kreatives Europa.
Das Ergebnis ist der im Juni 2021 veröffentlichte OMK-Bericht (in englischer Sprache) „Für Gleichheit der Geschlechter im Kultur- und Kreativsektor“.
Der Bericht befasst sich mit folgenden zentralen Themen:
- Geschlechterstereotypen,
- sexuelle Belästigung,
- Zugang zum Arbeitsmarkt und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern,
- Zugang zu Ressourcen,
- Zugang zu Führungspositionen und weiblichem Unternehmertum.
Neben einem allgemeinen Überblick über den Status quo der Gleichstellung der Geschlechter im Kultur- und Kreativsektor, einschließlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, enthält dieser Bericht umfassende Empfehlungen und bewährte Verfahren für ihre Durchführung.
Der Bericht richtet sich an alle politischen Entscheidungsträger und Menschen in Machtpositionen sowie an den Kultur- und Kreativsektor, die Medien und das Bildungswesen.
Der Bericht enthält Empfehlungen zu:
- einer verbesserten Erhebung zuverlässiger und vergleichbarer Daten zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der EU,
- der Bedeutung von geschlechtersensibler Sprache,
- der Verwirklichung von Geschlechtergleichstellung am Arbeitsplatz, einer entsprechenden Haushaltsplanung und von Gender-Mainstreaming-Methoden.
Die Kommission hob 2019 den Tag „Frauen in Bewegung“ aus der Taufe, um das Thema der ausgewogenen Vertretung der Geschlechter im Kultur- und Kreativsektor zu erörtern. Im Anschluss daran veröffentlichte die Kommission einen Überblick über bewährte Verfahren aus dem audiovisuellen Sektor, die in allen Mitgliedstaaten Schule machen sollen.
Das Thema der ausgewogenen Vertretung der Geschlechter im Kultur- und Kreativsektor wurde 2019 auch von der Kommission und Interessenträgern des Kultur- und Kreativsektors im Rahmen des strukturierten Dialogs „Voices of Culture“ erörtert, an dem 36 Branchenvertreter aus der gesamten EU teilnahmen.
Projekte im Rahmen des Programms Kreatives Europa
Im Rahmen des Programms Kreatives Europa wurden mehrere Projekte zur Förderung von Gleichstellung der Geschlechter kofinanziert, darunter eine Leitinitiative im Musiksektor – das Projekt Keychange.
Keychange ist eine internationale Kampagne, mit der Musikfestivals, Orchester, Konservatorien, Rundfunkanstalten, Konzerthallen, Agenten, Plattenlabels und Musikorganisationen dazu angehalten werden sollen, bis 2022 ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis von 50:50 zu erreichen.
Das neue Programm Kreatives Europa sieht vor, dass die Rolle der Geschlechtergleichstellung in allen begünstigten Projekten gestärkt wird.